05.05.2024
In Stein gemeißelt – oder in den Sand geschrieben?
Fest hält er die steinernen Gesetzestafeln in der Hand. 10 Gebote, 10 Regeln für ein friedliches Zusammenleben von Gott persönlich in Stein gemeißelt. Doch es kommt anders als gedacht.
Viel zu lang ist Mose schon weg und von Gott ist nichts zu hören. Das Volk wird unruhig, wo bleibt ihr Mose. Ein Mann, der stets weiß, wie es weiter geht. Eine immer stärker werdende Partei ergreift das Wort am Berge Sinai und schürt die Angst: „Mose kommt nicht wieder. Gott lässt nichts von sich hören und hat uns verlassen.“ Das Volk verliert sein vertrauen und sammelt sämtliches Gold und schmilzt es um zu einem goldenen Kalb, damit sie es anbeten und endlich wieder einen „Gott“ haben. Als Gott das sieht, wird er stocksauer. Nur das Gebet des Moses, seine leidenschaftliche Fürbitte für sein Volk ein, stimmt Gott um. Mit Gott kann man reden.
Jahrhunderte später bringen Männer eine Frau zu Jesus, die des Ehebruchs beschuldigt wird. Nach dem Gesetz sollte sie gesteinigt werden, so sagen es die Gebote. „Und was sagst du?“ fragen sie Jesus. „Gelten diese Gebote, die Gottes Finger in Stein gemeißelt hat oder stellst du sie in Frage?“
„Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger in den Sand“, heißt es in der Geschichte. Keine vorschnelle Antwort. Er nimmt sich aus der Szene heraus, hält inne - Atempause. Vielleicht betet Jesus. Alle stehen, er bückt sich. Die Männer fordern die Härte des Gesetzes, Jesus malt etwas in den weichen Sand.
Ich weiß nicht, was Jesus in den Sand geschrieben hat. Vielleicht das Wort Schalom – Friede. Es bleibt ein Rätsel, aber offenbar erwähnenswert. Jesus nimmt eine andere Perspektive ein, ohne die in Stein gemeißelten Gesetze außer Kraft zu setzen. „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“. Wer unter euch noch nie einen Fehler begangen hat, nehme den Stein des Gesetzes und werfe ihn auf die beschuldigte Frau. Und siehe da, die Männer lassen ihre Steine des Gesetzes ... in den weichen Sand der Barmherzigkeit fallen.
Rogate! Betet – heißt der 5. Sonntag nach Ostern. Reden, Klagen, Bitten, Danken, Hören, Schweigen – all das geschieht im Gebet. Mit Gott kann man reden. Mögen unsere Gebete neue Perspektiven öffnen und uns Mut zur Barmherzigkeit schenken, damit niemand unsere Ängste schüren kann. Friede sei mit uns.
Pfarrerin Rebekka Prozell aus Jerichow