22.11.2020
Das Wort zum Totensonntag am 22.11.2020

Menschen, die auf ihren Herrn warten

Wir sind in einer Zeit der Rückblicke – das bringt das nahe Jahresende mit sich. Was hat dieses Jahr gebracht an Gutem, an Gewinn und Schönem? War es nicht ein vorwiegend schwieriges Jahr? fragen Sie vielleicht. Ja, aber wir  können  zuerst einmal dankbar sein, trotz aller Herausforderungen in einigermaßen geordneten Verhältnissen  zu leben mit Wohnen, Nahrung, Kleidung und vielen Kommunikationsmöglichkeiten.  

Natürlich schauen wir auch voraus. Wie werden die Entwicklungen in den kommenden Wochen weitergehen? Viele erfüllt das mit Sorge oder Angst.

Wenn wir die Werbung in den Prospekten ansehen, scheint alles beim Alten zu sein. Vieles wird uns zu kaufen empfohlen, Weihnachtsartikel gibt es schon seit September. Dabei ist noch nicht einmal absehbar, in welchem Rahmen wir überhaupt Advent und Weihnachten feiern können. So werden wir auf bestimmte Ziele fixiert, die sehr unsicher sind.

Was ist sicher? Dass diese Welt und ihre Ressourcen nicht unendlich sind, wissen wir – und hoffen gleichzeitig, dass sie für unsere Lebenszeit noch ausreichen. Dass unsere Lebenszeit nicht unbegrenzt ist, wissen wir ebenfalls – und hoffen, dass sie noch möglichst lange währt. In diese zwischen Wissen und Hoffen schwebende Situation hinein kann  ein Wort von Jesus uns Orientierung geben: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen und seid den Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten“ (Lukasevangelium, Kapitel 12, Vers 35). Zwei Bilder aus dem Alltag damals verdeutlichen, worum es geht. Wer einen Weg zurücklegen wollte, musste sein langes Gewand mit einem Gürtel hochbinden, um auf den holprigen Wegen nicht zu stolpern. Mit langen Kleidern muss man auch heute noch aufpassen! Das andere Bild sagt, dass zum Arbeiten wie zum Gehen  und vielem anderen Licht nötig ist. Damals war das Nachfüllen und Pflegen der Öllampen ganz wichtig. Heute würden wir sagen: Reicht mein Akku noch? Bereit zum Gehen, ausgerüstet für einen Weg, warten – wozu? Weil Jesus deutlich sagt, dass Gott dieser Welt ein Ziel setzt, an dem Gottes Herrschaft in unsere Welt hereinbrechen und Er als Herr noch einmal zu ihr kommen wird. Nicht wie vor über zwei Jahrtausenden still und unauffällig als Kind, sondern in der Kraft Gottes. Leuchtend und plötzlich wie ein Blitz, unübersehbar für alle weltweit. Das ist  die Perspektive für die letzte Woche des Kirchenjahres, die an diesem Sonntag beginnt: Erwartet das Kommen des Herrn inmitten der vergehenden Welt! Tröstet euch damit, dass diese Welt nicht alles ist. Rechnet damit, dass Gott mehr tun kann,  als wir uns vorstellen!

Vergangenes und Unabänderliches dürfen wir vor Ihm ablegen mit der Bitte, dass Er uns von den Lasten befreit. Mit einer solchen Vorbereitung können wir nicht nur in den Advent gehen, sondern uns darüber hinaus auf den Herrn einstellen, der kommen wird. Das heißt nicht, einfach untätig zu sein. Vielmehr können wir Entscheidungen treffen, was wichtig ist und was nicht. Wir können trotz aller Einschränkungen sehen, für wen wir uns Zeit nehmen  müssen und was warten kann. Sind wir im Sinn der Aufforderung von Jesus bereit, uns zu bewegen  und Energie einzusetzen für Wichtiges? Dazu kann auch gehören, sich Zeit für einen Bibelvers oder einen Liedvers zu nehmen – wer keine Bibel hat, kann die Herrnhuter Losungen kostenlos aufs Handy laden und täglich einen Impuls bekommen. Ein früherer Bundespräsident, Gustav Heinemann, hat vor 70 Jahren gesagt: „Lasst uns der Welt antworten, wenn sie uns furchtsam machen will: Eure Herren gehen – unser Herr aber kommt!“ Ist das nicht ein guter Satz in einer furchtsamen Zeit?

Pfarrer Dr.Tobias Eichenberg, Stendal