30.04.2022
Das Wort zum 1. Mai

Am 1. Mai hat der Pfarrer frei! In den meisten Fällen stimmt das sogar. Der 1. Mai ist kein kirchlicher Feiertag, es gibt keine liturgische Ordnung für diesen Tag und keine vorgegebenen Bibeltexte. Das ist sonst nur noch am Nationalfeiertag dem 3.Oktober so.

Was den 1. Mai angeht, habe ich ganz gemischte Gefühle. Zum einen denke ich oft, wir könnten diesen tag gut abschaffen. Es ist ja bei uns im Land schon sehr viel erreicht, wenn wir an die ursprünglichen Forderungen des Tages der Arbeit denken. Es gibt Arbeitnehmerrechte, Urlaubsanspruch, Mitarbeitervertretungen und Gewerkschaften, einen Mindestlohn, erträgliche Arbeitsbedingungen, Gleichberechtigung der Geschlechter und Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer. Da ist in den letzten 130 Jahren viel erreicht worden. Dann könnten wir doch den Feiertag abschaffen, zumal Demonstrationen ja heutzutage auch nicht mehr so einfach sind.

Fast gleichzeitig fällt mir dann aber ein, warum wir ganz dringend so einen Tag wie den 1. Mai brauchen. Wenn ich mir anschaue, dass der Mindestlohn in Deutschland oft dazu geführt hat, die arbeitskostenintensiven Produktionen einfach in Billiglohnländer auszulagern und die Rücksicht auf Umwelt- und Lebensbedingungen bei uns dazu führen, das in anderen Ländern Umweltschäden in Größenordnungen verursacht werden, dann merke ich, dass mein Blick nur auf unsere Situation zu kurz greift.

Dee Wert produktiver Arbeit hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich reduziert. Handwerker und produzierende Firmen finden keine Auszubildenden mehr. Die Wertschöpfung passiert nicht mehr in unserem Land. Was aber bleibt dann hier noch übrig? Können wir einen Wissenstransfer leisten, sind unsere Wissenschaftler und Ingenieure noch Weltklasse, oder hinken wir auch da hinterher. Bleiben am Ende nur die Forderungen nach Einschränkungen in der Lebensqualität und Klimaziele als Exportschlager?

Ich denke, wir brauchen den 1. Mai, um uns darauf zu besinnen, welchen Wert die produktive Arbeit hat und welche Wertschätzung wir denen entgegenbringen sollten, die diese Arbeit tun. Wertschöpfung passiert eben nicht in den Amtsstuben, den Kirchen oder im Politikbetrieb, sondern auf dem Acker, in den Werkstätten, bei den Handwerkern und in den Fabriken. Darauf möge der Segen Gottes ruhen!

Pfarrer Thomas Krüger

St. Jacobi Stendal