19.07.2020
Das Wort zum Sonntag vom 19.07.2020

Liebe Leserinnen und Leser,

wussten Sie, dass man in der Wartburg noch heute das Zimmer besichtigen kann, in dem Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt hat? Das gute Stück muss 500 Jahre auf dem Buckel haben. Martin Luther saß in diesem Zimmer, weil er von Kaiser und Papst geächtet und gebannt worden war. Damit wäre alles, was man ihm hätte antun wollen, straflos geblieben. Zum Glück hatte Friedrich der Weise, Luthers Landesherr, einfach als erster zugegriffen: Er fingierte eine Entführung und brachte den verstoßenen Querdenker auf die Wartburg.

Hätte Luther die Burg verlassen, hätte er mit seinem Leben gespielt. Jeder Mensch, dem er begegnet wäre, hätte seinen Tod bedeuten können. Die Gefahr, die ihm drohte, kannte nur eine Grenze: die Fantasie seiner Mitmenschen.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Haben wir uns nicht alle zumindest für einige Wochen wie in eine Burg zurückgezogen? Ich denke an Polizisten, die angehustet wurden, wenn sie illegale Versammlungen auflösten und an Senioren, die von jungen Menschen eingeschüchtert und angeniest wurden.

Man sagte damals, dass im Reich des Kaisers Karl V. die Sonne nie untergehe. Er herrschte von Mitteleuropa über das heutige Spanien bis nach Südamerika. Luther muss mit dem Gedanken gelebt haben, dass ihn die halbe Welt tot sehen will. Wenn er später den Liedtext dichten wird „Und wenn die Welt voll Teufel wär‘“, ist das für ihn keine reine Spekulation, keine apokalyptische Fantasie, sondern eine persönliche Erfahrung aus finsteren Zeiten seines Lebens. Heute können wir in keinem Land der Welt davon ausgehen, dass wir vor Corona sicher wären. Das teilweise tödliche Virus kann uns unter Pagoden erwischen oder im Schatten der Pyramiden. Es macht nicht Halt, wenn wir wilde Kängurus bestaunen und auch nicht beim romantischen Zauber des Eifelturms.

Wie können wir das aushalten? Wie ist Luther daran nicht zerbrochen? Wie können wir alle nach unserer eigenen Zeit „auf der Wartburg“ noch Mut und Kraft schöpfen? Eine Spur finden wir auf jenem Schreibtisch. In sein Holz wurden zwei Worte auf Latein geritzt: Baptimus sum. „Ich bin getauft“. Luther fühlte sich von seiner Taufe her unter dem unverbrüchlichen Schutz Gottes. Nichts von dieser Welt konnte das in Frage stellen.
Egal, was man ihm antun konnte: Nichts konnte zwischen ihm und seinem Schöpfer stehen. Diesen unbeirrbaren Glauben, dass wir in guten Händen sind, wünsche ich uns allen.

Alexander Schwartz